Der sensationelle Ursprung von Zensationell Zufall. Ist Zufall das, was einem zufällt, weil es fällig wird? In meinem Fall geht es um eine geplante Begegnung. Die sich dann aber ins Ungeplante verwandelte. Eine Begegnung, die mein Leben für immer verändern sollte. Und die dir heute zugute kommt. Denn: Sie hat mich zu Zensationell geführt. Zufällig?Gehen wir viele viele Jahre zurück.Prof. Heinrich Landgrebe war ein bekannter Künstler. Er war Landschaftsmaler. Er war Heimatpfleger bei der Gemeinde und Kunsterzieher am Musischen Camerloher Gymnasium in der traditionellen Domstadt Freising. Freising, heute noch Erzbistum gemeinsam mit München und mit ungebrochenem Stolz auf den bereits frühmittelalterlich inne gehabten Bischofssitz. Freising, die Stadt, in der die älteste Bierbrauerei der Welt steht, Weihenstephan. Freising, die Stadt in der ich aufgewachsen bin.Alles gut mit Heinrich Landgrebe? Bei weitem nicht. Heinrich Landgrebe galt bei den meisten Freisingern als sehr berüchtigt. Als gefährlicher Spinner, mit dem man besser nichts zu tun hatte. Denn nachts hielt er oft spiritistische Sitzungen ab, weshalb er auch schon mal für mehrere Wochen in Heilschlaf versetzt wurde, als er gewisse Begegnungen mit seinen Kontakten aus dem Jenseits nicht mehr verkraftete. Außerdem übte er täglich Yoga - etwas sektenhaftes im erzkatholischen Freising in jenen Jahren. Und das Schlimmste überhaupt: Er interessierte sich leidenschaftlich für indische Religionen und asiatische Philosophie. Für die Kirche und die Freisinger Katholiken der damaligen Zeit war das der Pakt mit dem Teufel…Zum ersten Mal im Atelier Ich saß in seinem Atelier und wartete auf Heinrich Landgrebe. Überall verstreut lagen Malerpaletten, Bilderrahmen, Leinwände, Papierrollen und hunderte Pinsel, die meisten steckten in Dosen. Die Luft des hellen, geräumigen Zimmers war erfüllt von einem Gemisch aus Ölfarben, Leim, den etwas stickigen Wachsmalkreiden und dem ätzenden Terpentin in den Dosen für die Pinsel. Über die bodentiefe Fensterfront sah man hinaus in den Garten, mit seinen alten, mächtigen Bäumen. Ich packte meinen Block, meine Stifte, meine eigenen Pinsel aus, setzte mich an den ausladenden Holztisch direkt neben der Staffelei und war bereit für meinen ersten Malunterricht. Für mich war klar: jetzt fängt die Zukunft an. Denn ich hatte einen Plan. Einen Superplan. Damals, mit 16 Jahren, war das voll aufregend.Der Plan Nach dem Schulabschluss würde ich mich sofort an der Kunstakademie München anmelden und Malerei, Grafik und Design studieren, um dann, als freier Künstler, ein geniales, flippiges Hippie-Leben mit Marcel Proust Büchern, Pink Flyod Musik und coolen Freundinnen zu führen.Die Annahmeprüfung an der Akademie war bekanntermaßen schwer, doch ich hatte jetzt die beste Vorbereitung! Dachte ich. Nämlich den einjährigen Mal- und Vorbereitungsunterricht bei Heinrich Landgrebe – individuell, originell und ganz auf meine gierigen Kunst-Bedürfnisse zugeschnitten.Die Tür ging auf und mein künftiger Lehrer betrat das Atelier. Heinrich Landgrebe war eine imposante Erscheinung. Groß, breitschultrig, etwas über 60. Sein Bass war laut und durchdringend, seine Gesten kraftvoll. Und alles, was er tat und sagte, hatte Wucht. Doch was gleich passieren sollte – darauf hätte ich niemals auch nur einen schlappen Pfennig gewettet. So schnell kann das Leben verrückt werden Er setzte sich mir gegenüber auf einen Hocker und wir besprachen grob die Strategie und den Preis für den einjährigen Unterricht. Dieser Teil verlief noch ruhig und herkömmlich. Es war das letzte Konventionelle, was ich mit ihm erlebte. Denn dann erhob er sich abrupt von seinem Hocker und ging mit festem Schritt in die Ecke des Raumes, in dem sich Langspielplatten über Langspielplatten stapelten. Er fischte eine Mozart-Sinfonie heraus, legte sie schwungvoll auf den schwarzen Gummiteller des danebenstehenden Dual-Plattenspielers, schaltete das Gerät ein, lupfte die Saphir-Nadel darauf, drehte die Lautstärke der Boxen voll hoch und begann mit der Musik Mozarts zu hüpfen. Fast wie ein Gummiball sprang er auf und ab. Er begann sogar unkoordiniert durch das Atelier zu kreiseln, schrammte nur knapp an der Staffelei vorbei, riss beinahe einige Tontöpfe um und warf sich schließlich zu Boden. Dort zuckte und wippte er, wälzte sich umher. Lange, sehr lange und in alle Richtungen. Auch begann er eigensinnige, seltsame Töne und Melodien zu Mozarts Klängen zu summen. Dieses Summen unterbrach er nur, um immer wieder dröhnend und aus voller Brust so zu lachen, als würde er gerade die besten Witze seines Lebens hören. Ich wusste nicht, ob ich hinschauen oder wegschauen sollte, hielt jedenfalls meistens die Luft an, so baff wie ich gerade war, und so sehr, wie es meine Vorstellungen von Malunterricht sprengte. Irgendwann stand er auf, schüttelte sich kurz, klopfte einige Farbpigmente von der Kleidung herunter und schaltete den Plattenspieler wieder ab. Er bedeutete mir: meine erste Mal-Unterrichtstunde, die bislang knapp 20 Minuten dauerte, war beendet. Als er mich zum Gartentor hinausbegleitete, sagte er zum Abschied noch amüsiert: „Das war spontan. In der Malerei geht es, wie im Leben auch, um reine Spontanität.“Stunde 2 Zu Beginn der zweiten Unterrichtsstunde packte ich alles Mitgebrachte wieder aus. Block, Stifte, Pinsel. Ich setzte mich wieder an den Holztisch direkt neben der Staffelei und war bereit für die zweite Stunde. Jetzt wird sich das verrückte Geschehen der ersten Stunde aufklären…Als Heinrich Landgrebe kam, setzte er sich nicht zu mir, sondern steuerte direkt auf ein schmales Bücherregal zu, das gegenüber der Tür und in der Nähe der Plattenstapel stand und zog ein dünnes, etwa 80-seitiges Büchlein heraus. Mit ausladender Handbewegung legte er es mir auf den Malblock und ließ sich dann geräuschvoll auf seinen Hocker fallen. Erwartungsvoll musterte er mich und wartete, bis ich den Titel entziffert hatte. TAO TE KING … und LAO.. TSE… stand auf dem schwarzen Buchdeckel – lauter Fremdsilben, nicht mal Worte. „So klar wie japanischer Polizeifunk“, dachte ich mir. „Das Buch vom Weltgesetz und seinem Wirken" aus dem Barth-Verlag musst du dir sofort besorgen, heute noch.“, sagte er. „Am besten jetzt gleich.” Damit war die zweite Stunde auch schon wieder vorbei. Am Gartentor war er plötzlich wie berauscht, die Augen funkelten, seine Stimme bebte und er war komplett aufgeregt: „In dem Büchlein wirst du einen Satz finden! Einen unglaublichen Satz. Einen Satz, den du nie mehr vergessen wirst!! Einen Satz, der auf der Stelle dein Schicksal verändert. Ein Satz, der von nun an alle deine wichtigen Entscheidungen bestimmt, wenn du ihn begreifst. Er heißt: >Was nicht im Einklang ist, das klingt nicht< Lebe damit! Schlafe damit ein! Wache damit auf! >Was nicht im Einklang ist, das klingt nicht<“ Er machte eine lange Pause. Dann fuhr er fort: „Damit wirst du dich jetzt das ganze Jahr beschäftigen. Und den Rest deines Lebens.“Stunde 3 In der Woche darauf regnete es in Strömen, als ich mich auf den Weg zum Unterricht machte. Beginn: 17 Uhr. Der Sturm hatte schon den ganzen Tag gepfiffen und ich kämpfte mich, dick eingepackt, gegen Wind und Wetter zu seinem Haus oben am „Lankes-Berg“ zu meiner nächsten Malstunde durch. Endlich im warmen, geschützten Atelier angekommen, gab Heinrich Landgrebe mir zu verstehen, dass wir heute hinaus in den Garten gehen würden. Ein Regenschirm? Nein, nicht nötig. Malsachen und auch das ominöse Büchlein von Lao Tse, das ich erstmals mit dabeihatte, blieben da. Mitten im Sturm und prasselnden Regen zeigte er mir draußen im Garten in aller Ruhe und Gelassenheit die Schönheit der Gräser und ihrer Beweglichkeit, wenn der heftige Wind sie fast zu Boden drückte. Anschließend beobachteten wir die Regentropfen: Regentropfen, wie sie an Ästen hingen. Regentropfen, wie sie auf dem Boden aufschlugen und dort zersprangen. Regentropfen, wie sie uns trafen und durchnässten. Regentropfen, wie sie an Fensterscheiben herunter rannen. Als wir patschnass ins Atelier zurückkehrten, stellte er erneut den Dual-Plattenspieler an, legte diesmal Beethovens Sinfonie Nr. 5 auf. Dirigent: Herbert von Karajan. Er setzte sich dicht neben mich und frierend lernte ich, in den Melodien des Klassikers den Schwung des Windes zu hören. Wir begannen, Gott und die Welt vergessend, darüber zu diskutieren, wie man das Frische, das Wilde, das Natürliche, das Erdige, das Lichte und das Ungezähmte in der Musik erfährt. Aber auch - dafür holte er mehrere schwere Bildbände und warf sie auf den breiten Tisch - wie ich schnellstens das Unvorhergesehene in Bildern von Monet, van Gogh, Paul Klee und Picasso erkennen kann. Geschwindigkeit war ihm hier wichtig.Als ich spät wieder Zuhause war und endlich in neuen Klamotten mir die damals coolen Spagetti „Miracoli“ gemacht hatte, mit dem klassischen „Pamesello“-Käse aus der Plastikpackung dazu, zog ich mir anschließend eine halbe Nacht lang Songs der Beatles, der Rolling Stones, Songs von Elvis, Leonard Cohen und Cat Stevens und zwei Langspiel-Platten von Pink Floyd rein - und plötzlich fiel mir überall die Lockerheit fallender Regentopfen darin auf. Die Welt war verändert.Die kommenden Stunden mit Heinrich Landgrebe wurden immer extremer, immer bewusstseinserweiternder - auch wenn in all den Wochen und Monaten dabei nie gemalt wurde. Oder besser: Gerade, weil in all der Zeit nie gemalt wurde. Was man aber so wiederum auch nicht ernsthaft sagen konnte. Denn es wurde eben doch gemalt. Irgendwie. Allerdings auf anderen Ebenen…Ich verstand, warum Heinrich Landgrebe in unserer traditionellen Domstadt eine geistige Bedrohung für die konservativen Freisinger darstellte. Warum der „La“, wie er genannt wurde, für einige sogar als komplett übergeschnappt galt.Zwischendurch musste ich mir das Buch von Otto Graf von Dürkheim „Japan und die Kultur der Stille“ besorgen. Um den Unterschied zwischen nachgelassenem Lärm, Nachtruhe und echter Stille kennen zu lernen.Eines Tages holte Landgrebe erneut ein Büchlein aus dem Regal in seinem Atelier und schenkte es mir. Eugen Herrigel: „Zen in der Kunst des Bogenschießens“.
Ein Klassiker des Zens, wie sich herausstellte. Und ab da ging die Post in einer völlig neuen Dimension ab… Nun ging es plötzlich darum: „Mit Absicht absichtslos werden!“ Ein Paradox, das mir echt viel Irrwitz bescherte und anfangs enorme mentale Verkrampfungen einbrachte. Und das war erst der Einstieg in noch sehr viel verrücktere geistige Verrücktheiten. Ich kam in schwindelerregende innere Zustände, durch das porös werden der mir bis dahin gewohnten Realitäten. Mein Lehrer blieb cool: „Das erspart dir LSD Trips!“ Wie bitte? „Na ja, die anderen Dimensionen müssen geöffnet werden. So oder so. Vor oder nach dem Tod. Aber das, was du erlebst, ist besser so, als durch LSD, Kokain oder andere Drogen befreit. Es ist natürlich.“Langsam begriff ich, dass es in all den Stunden um einen Weg ging!!! Einen super-krassen Weg der inneren Rebellion. Um den Weg vom „Ich“ zum „Es“. Um den Zen-Weg. Ich begriff: Nicht „Ich“ stelle das Geschehen her, wenn die Sonne aufgeht. Oder mir ein Einfall kommt. „Es“ geschieht. Ich checkte: Der Zen-Weg hat die Richtung vom Größenwahn des alles „Selber-Machen“ müssens - hin zum Staunen über das Universum. Ich erfuhr, dass es zusammengehört: Das relaxte „Geschehen lassen“. Und die Grandiosität des „Selber Machens“. Doch dann aber war es gleichzeitig auch wieder anders. In mir blitze auf, dass vieles, was zusammengehört, nicht zusammengehört. Und umgekehrt: dass das nicht Zusammengehörende zutiefst miteinander verbunden ist… Mehr und mehr dämmerte mir, dass die Dimensionen, aus denen Zen stammt, paradox sind! Und ich verstand, welche Revolution und wie viel Tabu-Zerschmetterungen es in mir auslöst, mich intensivst mit den Zen-Sätzen, mit denen Landgrebe mich konfrontierte, auseinander zu setzen. Sätze, die mich noch heute begleiten. Die, wie ein guter Wein, sogar immer geheimnisvoller werden und die mich heute weiterhin in ihrer Tiefe immer wieder neu erschrecken: - „Was nicht im Einklang ist, klingt nicht.“ - „Mit Absicht absichtslos werden:“ - „Schießen, ohne zu schießen!“ - „Ohne Kampf siegen“ - „Wenn alles verloren ist, nimm dein Herz in die Hand“ - „Im Nichtstun das erreichen, was man mit erreichen wollen nicht erreichen kann“ Zeitsprung Seit fast einem Jahr ging ich nun schon Woche für Woche mit dem Zeichenblock, den Stiften, den Pinseln und dazugekommen, mittlerweile drei Büchern, zu dem Malunterricht, bei dem nicht gemalt wurde. Das Erstaunliche war: Ich stellte mit einem Male fest, dass ich mich in so vielem so viel unbeschwerter fühlte! Dass ich mich viel unbeschwerter benahm. Und tatsächlich sehr viel spontaner geworden war. Dass ich mich sogar schneller, reaktionsfreier, aber auch leerer erlebte. Und auf eine gute Art: innerlich plötzlich gewichtsloser war. Aber dabei blieb es nicht stehen. Ich wurde mir selbst unfassbar. Wo bin ich? Wer bin ich? Gibt es ein Ende? Gab es je einen Anfang? Nichts war für mich mehr unmittelbar zu greifen. Auch die Welt um mich herum erschien nun völlig anders: durchlässiger, formbarer als zuvor. Eine eigenartige Nicht-Realität, die aber gerade darin real ist. Ich war der Ferne näher und gleichzeitig rückte mir die ferne Ferne immer näher und näher auf die Pelle – obwohl ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte, was hier alles geschehen will. Aber ein größerer Wille erschien gleichzeitig und wurde zum Dauerbegleiter. „Besser als LSD Trips“, ging es mir immer wieder durch den Kopf.Die Bomben-Erkenntnis Plötzlich kam ich mit einer Bombenerkenntnis ins Atelier.„Endlich! Endlich! Ich habe etwas über das Malen begriffen!!! Endlich blicke ich durch!“ platzte ich gleich bei der Begrüßung heraus. Ich konnte mich kaum bremsen: „Ich sehe jetzt: Ich! Ich bin das leere, weiße Blatt. Ich bin – die leere unbeschriebene Leinwand! Das Nichts – es ist in mir! Direkt in meiner Mitte ist es total leer und scheinbar weiß…“ „Was heißt das nun für dich?“ Prof. Heinrich Landgrebe war selten so interessiert an einer Aussage von mir wie an dieser Stelle. Ich sprudelte sofort weiter: „Tief in mir bin ich das Blatt meines Malblocks, auf das noch nie etwas gekritzelt wurde. Das noch nie bemalt wurde. Auch wenn man ständig darauf herumpinselt.“ „Sage mehr dazu.“, forderte mein Zen Lehrer, wie ich ihn mittlerweile sah, auf. Ich spürte einige Momente lang in mich hinein, um zu antworten. „Egal was gerade läuft. Egal wie es mir gerade geht. In mir habe ich etwas gefunden, das ständig unberührt bleibt. Es fühlt sich durchsichtig an. Unbefleckbar. Es könnte sogar Licht sein. Und was mir vorkommt: genau hieraus kommen all die Bilder und Farbkleckse und Melodien des Lebens. Schnee und Regen. Coca-Cola und Hollywood. Johann Sebastian Bach. Die Rolling Stones und Leonard Cohen. Die Quelle des Genialen. Die Quelle des Banalen. Einfach die Quelle des Lebens. Und alles fällt auch wieder dorthin zurück. Wie Häuser, die einstürzen, aber nicht verschwinden. Sie fallen in eine Quelle, die leer ist. Eine Quelle, die weder quillt noch nicht-quillt. Die krass offen ist und deshalb völlig verschlossen bleibt in alle Richtungen. Ein Wahnsinn!“Crash!!! Rums! Schock!! Damit war mein Unterricht beendet. Urplötzlich. Für immer. Einfach so.Und nicht nur deshalb, weil das vereinbarte Jahr zeitlich gesehen so in etwa vorbei war. Nein, es hatte auch andere Gründe! Das spürte ich in diesem Moment sehr genau! Und ich spürte eine eigentümliche Happiness, eine befreite Happiness, gemischt mit dem Super-Schreck der abrupten Beendigung.Beim letzten Händeschütteln am Gartenzaun sagte Heinrich Landgrebe zum Abschied mit einem sehr verschmitzten Augenzwinkern: „Hätte ich dir eine Methode beigebracht, wie man malt, dann hätte ich dich verfälscht.“